"So also ist es gewesen.
-Man frage bitte nicht, was.
Ich habe die Scherben wieder aufgelesen.
Aber alle Scherben zusammen
machen noch immer kein Glas" Maschka Kaléko, "Das"
"Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd."
Christa Wolf, Kindheitsmuster
"Die Erinnerung ist ein sturer Hund. Sie kommt, wenn sie hungrig ist, nicht wenn du es bist" (aus Elliot Perlman, Tonspuren)
„Warum soll man sich für das schämen, was man vergisst? Soll man sich dann auch für das schämen, woran man sich erinnert?“ (aus Henning Mankell, Erinnerung an einen schmutzigen Engel)
„Wer sich erinnern will, muss sich dem Vergessen anvertrauen, diesem Risiko des absoluten Vergessens und diesem schönen Glücksfall, zu dem das Erinnern dann wird.“ Maurice Blanchot
„Ich habe das Vergessen gewählt. Ich bin ein anderer geworden, um ich selbst zu bleiben.“ Jorge Semprun
Also bewahren wir das, was wir erinnern, für den Anderen und bewahren das, was wir nicht erinnern, für uns, bis wir es schließlich erinnern oder vergessen.
Die Orte der Erinnerung, unsere eigene Geschichte und ihre Erzählung sollen uns wappnen gegen das Vergessen, sie sollen uns Genugtuung sein, sie sollen uns und andere darin unterstützen, Erinnerungen zuzulassen und sich bei uns zu melden, wenn sie wollen und etwas zu erzählen haben.
Nicht wenige von uns erleben ihre eigene Vergangenheit so, dass sie glauben, das, was sie erlebt hätten, könne gar nicht wahr sein, hätten sie selbst doch nicht erlebt sondern irgendwer anders, wer auch immer das sei. Sie müssen sich die eigene Geschichte immer wieder eingestehen gegen das eigene Vergessen wollen: Du warst es, der die Prügel einstecken musste, du warst es, der den Pater küssen musste…
Nach den vielen Jahren des bewussten oder unbewussten Nicht- Erinnern- Wollens siehst du dich mit einem Mal auf der Suche nach einem Zeugen der Existenz dessen, das du erinnerst. Eine verblüffende und befreiende Erfahrung für jeden von uns, wie nachgerade das Zuhören von Richter Merzbach, der Ordensleitung und Anderer die eigene Erinnerung merkbar beglaubigte, wie unverzichtbar diese Beglaubigung durch das gegenseitige Zuhören in gemeinsamen Treffen der Betroffenen danach.
Alle, die sich bisher gemeldet haben, sprechen von der Beschädigung ihres Lebens, ihres Lebenswillens, der Beschädigung ihres Menschseins und ihrer Menschenwürde. Viele sind in ihrer Freude, ihrer Kommunikation, ihren sozialen Kontakten eingeschränkt und behindert - auch heute noch nach so vielen Jahren. Besonders beim Übergang in eine neue Lebensphase (Trennungen, Ruhestand) werden plötzlich Beschädigungen und Narben sichtbar, von denen man glaubte, sie seien längst verheilt. Es ist wie es ist: Als kindliches Opfer von Missbrauch und Gewalt hast du „lebenslänglich“.
Was die Betroffenen, die sich im Verein „Missbrauchsopfer- Josephinum- Redemptoristen“ zusammen geschlossen haben, bestimmt wissen, ist, dass es noch weit mehr Betroffene gibt. Betroffene, die sich bisher nicht gemeldet haben. Betroffene, die weiter vergessen wollen und vergessen dürfen, weil das Erinnern so schmerzhaft ist und manchmal auch am Leben hindert. Genauso gibt es immer wieder neue Betroffene, die sprechen wollen und sprechen dürfen.
Für alle Betroffenen, die bisher schweigen, veröffentlichen wir unsere Geschichten, damit sie den Mut finden, sich vielleicht doch zu melden oder sich auf ihre eigene Weise ihrer Geschichte stellen. Sie können vielleicht für sich selbst in unseren Geschichten ihre eigene Geschichte wiederfinden. Wir alle haben gemerkt, wie wichtig es uns geworden ist, die eigene Geschichte ohne Auslassungen zu erzählen und anzunehmen, wie sehr es uns hilft, in unseren Erzählungen nicht ein zentrales Erlebnis auslassen zu müssen, die eigene Geschichte als Kontinuum zu erleben.
Wenn wir die Texte zu unserer Geschichte ins Internet stellen, geschieht dies auch zu dem Zweck, die vorliegenden Untersuchungsberichte mit Leben anzufüllen. Die Ergebnisse von mehr oder weniger juristischen Recherchen zur Kenntnis nehmen zu müssen oder sich in die Opfer hinein zu leben über ihr lebensgeschichtliches Erzählen, sind unterschiedliche Dinge. Wir hoffen, dass wir es auf diesem Weg bei Nichtbetroffenen wie bei mittelbar Betroffenen (unbelastete Mitarbeiter der Institutionen z.B.) schaffen, dass sie verstehen, wie lebenszerstörend sexuelle Gewalt und unheilvolles Dominanzverhalten gegenüber Kindern sind. Dass sie verstehen, dass sexuelle Gewalt und unreflektierte Machtausübung das universelle Recht von Kindern und Erwachsenen auf Menschsein verletzt und dass die Gestaltung der Nähebeziehung die größte ethische Herausforderung im Umgang mit Kindern ist. Dass sie verstehen, dass es eine grundsätzliche Verjährung solcher Straftaten nicht geben darf unabhängig davon, ob in einem ordentlichen Gerichtsverfahren die Wahrheit dann tatsächlich noch aufgedeckt werden kann.
Und wenn wir unsere Geschichten und Reflektionen ins Internet stellen, ist auch ein Gefühl von Genugtuung, gar von Rache dabei gegenüber den Verantwortlichen des Ordens damals und heute. Verantwortliche, die weggeschaut haben, wo sie hätten hinsehen müssen und können. Sie hatten Augen und Ohren und auch einen Verstand. Den heute Verantwortlichen nehmen wir ihren persönlichen Willen zur Veränderung ab, der Institution Orden und Kirche als Ganze noch lange nicht.
Die Taten von damals sind nach dem Gesetz in der Regel verjährt- wir selbst und unsere Beschädigung sind nicht verjährt. Damit Opfer von Missbrauch wenigstens eine Chance auf Aufarbeitung und Wiedergutmachung haben, unterstützen wir alle Bemühungen um vollständige Aufhebung der Verjährungsfristen.
Nach Jahrzehnten des Schweigens und Nichtgehörtwerdens werden unsere Erlebnisse durch die Veröffentlichung auf dieser Seite zu stillen Zeitzeugen, die nicht einfach übergangen werden können. Wir möchten damit einen Beitrag leisten, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Und es war nicht so, wie es hier steht, es war schlimmer. Wir waren Kinder!
J. D.
Ein Mitglied unserer Betroffenengruppe J.D. ist zu Beginn diesen Jahres 2013 verstorben.
Auf Wunsch der Familie bleibt sein Name anonym und wird seine Geschichte hier nicht veröffentlicht.
Wir wollen ganz besonders ihm diese Seiten widmen und dazu beitragen, ihm die Genugtuung zu verschaffen, die er sich so gewünscht hat. Einige von uns haben ihn noch kurz vor seinem Tod kennen lernen und damit verbunden einen Teil seiner Erlebnisse als Internatsschüler im Collegium Josephinum erfahren dürfen.
Wir sind einem beruflich erfolgreichen Menschen begegnet, gesegnet mit vielen Talenten, der im Alter von 75 Jahren vom Trauma monatelanger Vergewaltigung und monatelangem Missbrauchs eingeholt wurde. Als ihm das angetan wurde, war er gerademal 11 Jahre alt. An ihm zeigte sich eindrücklich, wie tief der erlittene körperliche und seelische Schmerz nach Jahrzehnten noch brennt, so dass es uns bei dem ergreifenden Versuch der Schilderung fast die Luft zum Atmen nahm.
Es scheint, als habe ihm zum Ende seines Lebens hin die Kraft gefehlt, sich all dem Leid und seiner Aufarbeitung zu stellen und als habe die Qual der Erinnerung daran ihm die Energie genommen, noch weiter zu leben.
Er wird über seinen Tod hinaus lebendiger Teil unserer Gruppe bleiben. J. ist die Kraftquelle, die diese Homepage entstehen ließ und weiter möglich macht.
Hermann Vennenbernd
Plötzlich und unerwartet verstarb am 1.5.2018 unser Freund Hermann Vennenbernd.
Mit Hermann hat uns bereits der zweite aus dem Kreis der Betroffenen verlassen, die sich ab 2010 zusammengefunden haben, um die in den Internaten der Redemptoristen erlittene Gewalt aufzuarbeiten. Teil dieser Gewalterfahrung war nicht immer, aber häufig sexualisierte Gewalt. Herrmann hat der Gruppe der Betroffenen von der ersten Stunde an angehört und bei keinem Treffen in all den Jahren gefehlt.
Vehement hat er sich in den ersten Jahren für eine präzise Aufarbeitung der abscheulichen Verbrechen an Kindern in Internaten der Redemptoristen eingesetzt. Gehofft hat er dabei immer auf eine Art wissenschaftlicher Aufarbeitung durch ordensferne Experten. Bezogen auf sein eigenes Schicksal sprach er oft über den Nebel, der noch über vielen Erinnerungsfetzen lag, an deren Zusammenfügung er sich wohl nie so ganz heranwagte. Zu groß wird die Angst vor den Abgründen gewesen sein, die sich dadurch aufgetan hätten. Wir haben aber Anlass zu hoffen, dass ihm die engagierte Teilnahme an unseren Treffen ein wenig innere Ruhe gebracht hat.
Am 20.4. hatte er noch seine Kur unterbrochen, um uns wenigstens nach dem offiziellen Vereinstreffen kurz im Restaurant zu sehen. Keiner hätte an dem Abend daran gedacht, dass wir uns nie mehr wieder sehen werden. Hier noch ein paar Zeilen seiner Weggefährten aus dem Verein:
„Er war einer der Ersten, der über das Unvorstellbare im Internat der Redemptoristen in Glanerbruck „aufgeschrieben“ hat. Beharrlich und mit klarer Überzeugung kämpfte er für die Anerkennung des Missbrauchsleids, die wir Männer und Frauen als Kinder erfahren mussten.
Er hat sein Leben im besten Sinne „gemeistert“. Auch ein Genussmensch, ein fröhlicher und freundlicher Mensch war er und musste doch noch in den letzten Jahren bereits zweimal Mal den Tod einer Lebenspartnerin verkraften. Aber er stand auf und griff erneut das Leben.
In Erinnerung bleibt ein Mann mit Herz und menschlicher Wärme. Wir trauern um Ihn und vermissen ihn. Insbesondere fehlt er uns in Zukunft an den schönen Abenden nach erfolgreichem Wirken um unsere Sache in den wunderbaren Kölner Kneipen. So etwas, das wir erleiden mussten, darf sich nie wiederholen, war sein Antrieb für sein Engagement.
Wir vermissen Dich.“
„Mit Hermann haben wir einen Mitstreiter verloren, der geradlinig in der Diskussion sein konnte, ohne abweichende Meinungen anderer zu diskreditieren. Sein verschmitzter Humor hat manchem Disput die Spitze genommen.“
Zubringerinternat Glanerbrück
Ausschnitt:
Es ist mir nicht möglich, das Grauen, die Angst, die Verzweifelung, die Einsamkeit, das Verlassen sein und den Vertrauensverlust zu Gott und den Menschen in Worte zu fassen. Meine Sprache
reicht nicht aus. Trotzdem will ich versuchen, die Geschehnisse und Gefühligkeiten aufzuschreiben, um zumindest als Zählgröße bei der Aufarbeitung der Mißbrauchsfälle im Namen Gottes beizutragen.
Vielleicht – so ist meine Hoffnung – können einzelne Gedanken und Beschreibungen dazu beitragen, die Diskussion um die kirchlichen Mißbrauchsfälle und deren Aufarbeitung zu
unterstützen.
Vorlauf zum Missbrauch
Es begann vor den Sommerferien 1962. Ich stand kurz vor meinem 14´ten Geburtstag, war schmächtig, sensibel und ein „Spätentwickler“. Ich wohnte gemeinsam mit zwei weiteren Schülern in einem
Zimmer. Das Zimmer bestand aus 3 Schränken und drei Betten. Mein Bett war das mittlere.
Ich wachte mitten in der Nacht auf und stellt fest, dass ich feucht war. Ich hatte erstmalig eine Erektion und dabei einen nicht willentlich herbeigeführten Erguss. Ich schämte mich sehr und
war irritiert über diese körperliche Erfahrung. Es war naß, kalt, schleimig. Ich war völlig verwirrt.
Ich war jedoch mit keinem Menschen verbunden, mit dem ich darüber sprechen...
Ausschnitt:
Ich habe eine unangenehme Erinnerung an dieses erste Jahr. Irgendwann im Laufe des Jahres musste ein älterer Schüler aus der Quarta das Internat verlassen – aus welchem Grund auch immer,
vermutlich aufgrund von schlechten schulischen Leistungen infolge des Missbrauchs durch den Präfekten Pater D. (oder wie mir später noch einfiel: den Lateinlehrer Pater Sch.). Dieser Mitschüler
begegnete mir an seinem Entlassungstag auf dem Flur. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch keine 13 Jahre alt. Er warnte mich in rüdestem Ton vor Pater D. (oder Pater Sch.?) mit entsprechenden
pornografischen Ausdrücken und gab mir zu erkennen, dass er sexuell missbraucht worden war. Ich konnte zu dieser Zeit noch gar nichts mit diesen Hinweisen anfangen, zumal ich bis dahin noch
keinerlei Belästigungen erfahren hatte.
Allerdings hatte ich inzwischen herausbekommen, dass es eine von Pater D. organisierte Geheimorganisation HM (Hilf Mit) der Mitschüler gab, deren Aufgabe es war, alle Schüler zu bespitzeln
und alle Vergehen gegen die Hausordnung und auch andere Hinweise an Pater D. zu melden. Das erklärte auch, weshalb Pater D. nichts verborgen blieb, wenn einzelne Schüler etwas „angestellt“
hatten.
Daneben gab es noch ein System der „Kapos“, die Gehilfen des Präfekten Pater D. waren und ihn z.B. beim Essen im Essensaal oder bei Gebeten in der Kapelle vertraten – und natürlich alle
Denunziationen organisierten. Wenn man sich heute vorstellt, welche Bedeutung...
Ausschnitt:
Ich bin heute 66 Jahre alt und habe in den Jahren 1956 – 1959 das St.-Josef-Kolleg in
Glanerbrug besucht. Zur dieser Zeit war Pater Willibald D. Präfekt des Internats. Meine
Erinnerungen an diese Zeit sind geprägt von Erlebnissen mit Pater D.
Pater D. hatte ein ausgeklügeltes System installiert, mit dem er seine Schutzbefohlenen
perfekt kontrollieren konnte. Diese Einrichtung nannte sich „HM“ und war eine
Geheimorganisation mit wenigen Mitgliedern, die es sich zur Aufgabe machten,darüber zu
wachen, dass die Regeln des Klosters eingehalten wurden. Ich war Mitglied dieser
Einrichtung und stolz darauf. Pater D. erklärte es so: „HM ist die Abkürzung für „Hilf Mit“.
Mithelfen heißt, darüber zu wachen, wer gegen die Regeln verstößt und Verstöße zu
melden. Die Mitglieder des HM sind etwas Besonderes. Sie sind auserwählt, weil sie selbst
vorbildlich handeln und helfen, die Mitmenschen auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.“
Anfängliche Scheu, Kameraden zu `verpfeifen` , wurde konsequent abgebaut. Täglich
wurden Berichte beim Pater abgegeben. Viele Mitschüler waren...
Collegium Josephinum Hauptgebäude
Ausschnitt:
Was Pater S. mit mir tat, da war ein tiefes Gefühl in mir, dass es nicht in Ordnung war. Oder war es doch in Ordnung? Nicht in Ordnung? Doch in Ordnung? Wenn er es tut? Er ist doch Priester?
Der Kopf war verdreht, die Seele war verdreht. Sie war es bei der ersten Berührung zwischen den Beinen nachts im Schlafsaal, als er mir mit seiner Hand einen Orgasmus machte. Für mich das erste
Mal im Leben. Das war die wirkliche Umwertung aller Werte, die Verunsi-cherung aller Sicherheiten, das war das Stehlen des eh nur rudimentär vorhandenen Vertrauens in die Welt, das Stehlen des
Vertrauens in die Menschen dahinein, dass alles gut wird. Das was da geschah, geschah nicht wirklich mir. Aber wem geschah es dann? Dass ich das, was da geschah, niemals als Sünde beichtwürdig
finden konnte ohne es andererseits jemals genusswürdig finden zu können, ist ein erheblicher Teil meines Leidens als missbrauchtes Kind.
Diese Beichtfrage mündet direkt in die zweite Frage, warum wir das Leid nicht beschreiben konnten, warum wir 20, 30, 40 Jahre gebraucht haben. Die Antwort ist so einfach: ich wollte nicht
zugeben, dass ich beschädigt worden sein könnte, gar einen bleibenden Schaden davongetragen hätte. Ich war jung, ich war als junger Mann attraktiv und wollte es sein, ich wollte die Welt, die
Mädels und alles aus den Angeln heben. Als Schwerbeschädigter schien das nur begrenzt möglich. Also legte ich mir besser ein zweites Selbst zu,...
Ausschnitt:
Ich war vor dem Treffen in Bonn der Überzeugung, ich sei letztendlich ohne besondere Spätfolgen davongekommen; davon bin ich auch jetzt überzeugt. Und ich habe deshalb auch nicht die Aggression einzelner Teilnehmer verstanden. Ich hatte das Glück, mich irgendwann eine lange Nacht lang ausheulen zu dürfen, nachdem ich mich meiner Freundin während des Studiums anvertrauen konnte. Das habe ich als erlösend empfunden, ohne dass ich gewusst habe, dass ich überhaupt von irgendwas zu erlösen sei. Meiner Frau gegenüber musste ich mich auch nicht verstecken. Da ist/war was dran mit sexuellen Belästigungen in Internaten; eigene Erfahrung - aber nie Details. Ich habe mich vor Freunden nie mehr wirklich verstecken müssen als ehemaliger Klosterschüler, aber wirklich geredet habe ich natürlich nie darüber.
Eine Psychotherapie vor vier Jahren, die als Paartherapie ihren Anfang nahm, um nichts unve...
Ausschnitt:
Bonn
1959 - 1968
Das geschlossene System:
Hohe Mauern ringsum, Gitter, hohe Tore
à abgeschirmt von der Außenwelt
Telefonieren ging nur an der Pforte bei Frl. .... nach Anmeldung.
Frömmigkeit; angehalten zur regelmäßigen Beichte
täglicher Gottesdienst
am Sonntag 2 Gottesdienste (einen für diejenigen, die nicht in die Kirche gehen)
Vesper bzw. Komplet am Abend
besonders schwergefallen nach Besuchssonntag (alle 4 Wochen)
Heimweh
Masse, zeitweise 170 Kinder und Jugendliche unter einem Dach
Berufsbezogen: Wer hier sein darf, wird Redemptorist, wer es nicht werden will, oder ein Mädchen kennen gelernt hat, muß gehen. (Dass Jugendliche kurz vor dem Abitur das Haus verlassen mußten, weil sie nicht in den Orden eintreten wollten, hat sehr bewegt und kleinlaut gemacht. Die Ausgewiesenen kamen im benachbarten Lehrlingsheim unter und konnten aus lauter Gnade ihr Abi machen - so wurde uns vom Direktor versichert.
Postkontrolle (Briefe werden offen in den Briefkasten des Präfekten eingeworfen;....
Ausschnitt:
Mein Leben kippte ab 1973/74. Ich trank mich ins Koma, um die ganzen Schmerzen, Wut, Ängste und Depressionen zu bekämpfen, zu vergessen. Es gab für mich keinen anderen Weg. Meine sog. Familie ließ mich fallen und ich irrte durchs Leben ohne zu leben. Der Alkohol gewann zunehmend die Oberhand über mich. Ich rutschte immer weiter ab und wusste nach Jehren auch nicht mehr warum. Ich missbrauchte den Alkohol so wie ich missbraucht wurde- fast mit tödlichem Ausgang. Schlief auf Parkbänken. Traf auf "Menschen", die keine waren...
Kloster Aachen, 1986 aufgegeben
Ausschnitt:
Nach bestandenem Abitur fuhr ich mit meinen Eltern nach Aachen, um mir ein Zimmer für mein Studium zu suchen. Das einzig in Frage kommende lag so, dass ich beim Verlassen des Hauses sofort im Blickwinkel des Klosterzimmers von Pater W. lag. Aber was hätte ich meinen Eltern sagen sollen??? So lebte ich zwei Jahre lang in Angst und Schrecken, dass Pater W. mich beobachten und dadurch herausfinden könnte, wo ich wohne. Es war der reinste Psychoterror. Der Schockmoment, als ich ihn nach ein paar Monaten wirklich auf der anderen Straßenseite entdeckte und am liebsten im Bürgersteig versunken wäre, hat sich für immer in meine Seele eingebrannt....
Zwei ehemalige Heimkinder haben sich beim Missbrauchsbeauftragten des Ordens gemeldet und sowohl von sexuellem Missbrauch als auch von Misshandlungen durch den Pater M. berichtet.
Das "Kloster Geistingen" an der Waldstraße 9 in Hennef- Geistingen ist 1903 von den Redemptoristen in Hennef errichtet worden und diente viele Jahre vor allem als Ausbildungskloster, später als kirchliche Hochschule. Bis 1953 hieß das Haus "Immaculata- Kolleg", ab 1953 "Kloster Geistingen". Am 2. Juli 1941 erfolgte die Auflösung des Klosters durch den nationalsozialistischen Staatsapparat verbunden mit einem Aufenthaltsverbot für alle Ordensleute. Nur die Patres Gerhard Legeland als Kaplan in Geistingen und Bernhard Ziermann als Krankenhausseelsorger konnten bleiben. Das leerstehende Haus in Geistingen wurde schließlich von der Stadtverwaltung Köln übernommen. Sie evakuierte dorthin Anfang September 1941 das vom Bombenkrieg bedrohte Waisenhaus der Nonnenwerther Franziskanerinnen "Elisabeth- Breuer- Haus" in Köln- Mülheim nach Geistingen. Pater Walter Roß wurde zum geistlichen Rektor des Waisenhauses ernannt.
Die Rückführung der Patres und der Studenten begann bereits am 6.Juni 1945. Das Waisenhaus blieb noch bis Ende 1948 im Haus, die ersten Kinder wurden bereits 1947 wieder nach Köln- Mülheim umgesiedelt. Zum Abschied des Kinderheims führten die Studenten am 20. Nov. 1948 das Theaterstück "Der Prophet" (Savonarola) auf. Nach Abzug der letzten Schwestern wurde die Klausur wieder hergestellt.
Eine wichtige Funktion von Kloster Geistingen war die Hilfe für die Seelsorge in den benachbarten Gemeinden. Fünf Jahrzehnte war das Verhältnis zwischen der Pfarrei St. Michael in Geistingen und dem Kloster von Spannungen und Konkurrenzdenken geprägt. Das änderte sich erst mit der Übernahme der Pfarrei durch Pater Heinrich Schuh im Jahre 1952. Die Zusammenarbeit zwischen Kloster und Pfarrei waren vielfältig. So hatte das Kloster 1922 die regelmäßige sonntägliche Aushilfe in der Kapelle von Schloss Birlinghoven, seit 1935 hatten die Patres die Kapellengemeinde Wellesberg übernommen. Es kamen nach dem 2. Weltkrieg weitere Seelsorgestellen hinzu: das Altersheim am Geistinger Platz sowie das Krankenhaus der Olper Franziskanerinnen, das heutige Helenenstift, die Kapellengemeinden Gutmannseichen (Herfen), Allner, Bülgenauer, Greuelsiefen.
In den 50er Jahren bis in die 60er hinein hat es schwere Übergriffe an Messdienern durch einen Ordensgeistlichen Pater Otto H. gegeben. Der Fall wird noch weiter aufgearbeitet.
Auch das ist ein wichtiger Erinnerungsort und als solcher erwähnenswert: aus Bous gab es lange Zeit nicht einen einzigen Hinweis auf unangemessene Gewaltanwendung oder sexuelle Gewalt gegen Kinder. Dort scheint ein anderer Geist als in Glanerbrück oder Bonn geherrscht zu haben. Die Kinder, die hier die ersten Internatsjahre verbracht haben, schienen sich geschützt und gewertschätzt zu fühlen, empfanden Bous offensichtlich als Heimat. 2016 berichteten die Ersten glaubhaft von gewalttätigen Übergriffen, unangemessenen körperlichen Strafen in den 50er Jahren auch in Bous. Offensichtlich wurde Ende der 40er bzw. Anfang der 50er nach dem Zeugnis der Mutter eines Internatsschülers ein Pater auch wegen sexueller Übergriffe von der Ordensleitung versetzt. Tatsächlich scheint es sich um Einzelfälle zu handeln und hat nicht den systematischen Charakter von Gewalt und Missbrauch wie z. B. in Bonn oder Glanerbrück. Die Betroffenen wollen anonym bleiben, weil viele ehemalige Bouser Schüler sich noch immer als eine "Familie" empfinden und keinesfalls wollen, dass sie selbst als "Nestbeschmutzer" dastehen.
Im Laufe des letzten Jahres hat sich herausgestellt, dass sich aus der Tatsache, dass es lange Zeit keinen Hinweis darauf gab, dass auch in Bous unangemessene Gewalt und auch sexuelle Gewalt ausgeübt wurde, nicht die These ableiten ließ, Bous sei ein Ort gewesen, an dem Kinder sich sicher und geborgen fühlen konnten. Es gibt einen Hinweis auf sexuelle Übergriffe durch einen Pater in den 50er Jahren. Dieser wurde auf Druck der Eltern schließlich- wie damals üblich- versetzt. Wohin? Wir wissen es nicht. Mittlerweile liegen uns und dem Missbrauchsbeauftragten des Ordens mehrere schriftliche Zeugnisse unangemessener und erniedrigender Gewalt durch mindesten einen Pater (Pater S.) vor.
Offensichtlich wird am Beispiel Bous auch, dass möglicherweise die besondere Nähe der Menschen untereinander im kleinen Einzugsgebiet des Saarlandes, Betroffene daran hindert, sich auch öffentlich oder mit Namen zu melden.
Missbrauch, katholischer allemal, ist eng mit dem jeweiligen Zeitgeist verbunden. Der Missbraucher nutzt, was der Zeitgeist an Legitimation bereitstellt. Deshalb sollen an dieser Stelle besondere Zeugnisse dieses Zeitgeistes dokumentiert werden. Es darf über diese Zeugnisse des Ungeistes auch gelacht werden, weil sie oft so lächerlich daher kommen. Liest man die jeweiligen Lebensberichte der Opfer dieses Ungeistes (Orte der Erinnerung), bleibt einem dieses Lachen gerne auch im Halse stecken und man erschrickt vor der Perfidie der Täter und derer, die ihre Hand darüber gehalten haben.Man erschrickt vor dem, was man Zeitgeist nennt.
Manch einer mag sagen: Was Ihr da vom Internat oder der katholischen Kirche behauptet, von schwarzer Pädagogik und Gewalt, was Ihr da redet, warum Ihr Euch selbst zum Schweigen verurteilt habt- wo sind denn die Belege? Eure Empfindlichkeiten von damals werden heute von der Presse und irgendeiner Pseudowissenschaft ohne Prüfung als wahr behauptet. Schon damals wolltet Ihr Euch nicht einordnen, heute werdet Ihr zu Opfern und damit fast schon zu Helden stilisiert.
Tatsächlich haben Traumatisierungen fatale Folgen für die Opfer. Eine der perfidesten Folgen ist die, dass die Opfer selbst immer wieder an ihrer eigenen beschädigten Geschichte zweifeln, weil sie nicht wahrhaben wollen, was ihnen widerfahren ist, was sie mit sich haben machen lassen und wie sehr sie verletzt worden sind. Die von Missbrauch und Gewalt Betroffenen sind, wenn sie denn der eigenen Geschichte offenen Auges begegnen, auf der Suche nach Belegen für das, was sie erleben mussten. Deshalb ist Recherche, Aufarbeitung, wissenschaftliche Einordnung und Wiedergutmachung so unverzichtbar für ihre Rehabilitation. Es braucht die Zeugnisse und Dokumentationen, um zu verstehen, warum „das“ geschehen konnte und um dadurch den Tätern in Zukunft ihre Grundlage zu entziehen. Aber auch aus dem einfachen Grund, damit die Opfer nicht irre werden an sich selbst.
Missbrauch und Gewalt haben immer einen individuellen Täter, haben aber hinter sich ein System, das die Taten möglich macht, ein System, das verantwortlich ist für das Bereitstellen einer "Gelegenheitsstruktur". Greifbar wird, wie richtig es ist, dass der Bundesbeauftragte Rörig seine Kampagne gegen Missbrauch unter den Slogan "Kein Raum für Missbrauch" stellt. Wenn man so will, kann man für die Internate in Bonn und Glanerbrück das etwas abstrakte Wort von der "Gelegenheitsstruktur" übersetzen in "exklusive Räume für Missbrauch". Einen Blick auf diese Räume, auf "das dahinter" ermöglichen die Zeitdokumente, wie sie hier ausschnittsweise präsentiert werden.
Pater Clemente Pereiras Heft war das katholische Aufklärungsheft der 50er bis 70er Jahre. Es war in allen Kirchen (teilweise bis in die 90er Jahre) käuflich zu erwerben und vor allem: es galt als besonders fortschrittlich. Hier wurde das Schweigen um die Sexualität gebrochen, hier wurde aufgeklärt und "das" beim Namen genannt. Selbst für dieses "harmlose" Heftchen galt: als Junge las man es eher unter der Bank, weil man nicht in Verdacht geraten wollte, Probleme mit der Selbstbefriedigung zu haben.
Ausschnitt:
.....Leider muß ich nun über einen Mißbrauch der Geschlechtskraft etwas sagen, dessen sich auch Jungen schuldig machen können. Ich meine die Sünde der Unkeuschheit, durch die ein Junge seine Geschlechtskraft mißbraucht, um sich selbst Genuß zu verschaffen. Damit hast vielleicht nicht nur du zu tun, sondern andere deiner Kameraden auch, vielleicht lange Zeit, ohne anscheinend davon loskommen zu können. Gib nicht der Lust nach und vergeude keine Kräfte, die der Körper viel besser für seinen Aufbau brauchen könnte. Der Arzt sagt dir nämlich, daß ein Teil der aufgestauten Samenzellen vom Körper wieder neu aufgenommen wird und als Aufbaukraft für sein Wachstum bestimmt ist. Der andere Teil....
Ausschnitt aus dem Beichtspiegel des Gebet- und Gesangbuches für das Erzbistum Köln (1961):
Sechstes und neuntes Gebot Gottes
Sei ehrfürchtig gegen deinen Leib. Er ist ganz Gottes Werk. Sei schamhaft. Wer nicht schamhaft ist, fällt leicht in die schwere Sünde der Unkeuschheit. Alles, was dazu dient, den Leib gesund und rein zu halten, ist keine Sünde. Auch das ist keine Sünde, wofür man nicht kann, und woran man kein Gefallen hat. Frage den Beichtvater um Rat, wenn du nicht weißt, ob etwas eine Sünde ist. –
Habe ich den Leib vorwitzig und leichtfertig angesehen? Bei mir? Bei anderen? Habe ich schlechte Bilder gern angeschaut? Sie anderen gezeigt? Habe ich den Leib unschamhaft angefaßt? Von anderen anfassen lassen? Bei anderen angefaßt? Habe ich mich vor anderen unschamhaft benommen? Habe ich an unschamhaften Gedanken Gefallen gehabt? Habe ich Freude gehabt an schmutzigen Reden oder Liedern? Habe ich unschamhafte Kameraden nicht gemieden ?
Habe ich unkeusche Lust gesucht und Unkeusches mit mir selbst getan? Wie oft? Habe ich Unkeusches mit anderen getan? Wie oft?
….
Nun überlege noch einmal, welche Sünden du bei der Gewissenserforschung gefunden hast. Frage dich, was dein Hauptfehler ist. Und
jetzt kommt das Wichtigste: Du mußt dich von ganzem Herzen von den Sünden lossagen und dich in aller Liebe zu Gott hinwenden. Überlege: wie schlecht und häßlich und böse ist doch die Sünde! Du
hast gegen Gottes heiligen Willen gehandelt; hast die Liebe deines himmlischen Vaters verletzt. Und wenn die Sünde groß war, und du hast sie absichtlich getan, dann hast du Gottes Zorn
verdient.
Herr, Gott, himmlischer Vater! Ich habe gesündigt
vor dir. Ich bin nicht wert, dein Kind zu heißen. …
Das, was die Betroffenen aus den Internaten an Übergriffen berichten, hatte seine Stütze und in Teilen auch eine seiner Ursachen in den geltenden geschriebenen und ungeschriebenen Regeln dieser Institution. Für das Collegium Josephinum sind wir in der glücklichen Lage, nicht nur auf die persönlichen Erinnerungen angewiesen zu sein, sondern wir haben für dieses Internat auch eine verschriftlichte Form der Regeln. Bis Mitte der 50er Jahre wurden diese Regeln bei der Aufnahme ins Internat den Juvenisten gegen Unterschrift persönlich ausgehändigt. Sie galten uneingeschränkt bis 1956, wurden dann wohl abgelöst vom sog. Grundgesetz. Die Regeln galten, auch ohne dass sie noch ausgehändigt wurden, mindestens bis 1965. In diesem Jahr wurde der Zwang aufgehoben, das Juvenat verlassen zu müssen, wenn man sich unsicher war bezüglich des zukünftigen Priesterberufes. Die anderen Regeln galten mindestens bis in die 70er Jahre weiter, waren doch die meisten Präfekten selbst als Kinder durch diese Schule der Regeln gegangen.
Die schriftliche Form der Regeln in der Hand des Zöglings scheint deutlich dem vorzuziehen zu sein, was viele Zöglinge aus den 60er Jahren berichten: dass sie bei ihrer Bestrafung so gar nicht wussten, was genau sie jeweils falsch gemacht hatten. Sie mussten erst mühsam lernen, was richtig und was falsch war und das Regelwerk, das weiter galt, durch Versuch und Irrtum in sich selber aufschreiben.
Deutlich wird in den Regeln, dass die Außenwelt als feindlich, gefährlich und moralisch kraftlos ("geschützt vor den Gefahren der Welt", Einleitung S.6) wahrgenommen wird. Wer die Regeln beachtet, kann sich sicher sein, auf der rechten Seite zu stehen ("alsdann durch treue Beobachtung der hl. Ordensregel das Werk deiner Heiligung fortzusetzen und zu vollenden", Einleitung, S. 7) und zur Verbesserung der Welt beizutragen ("viele Seelen retten", Einleitung S.5) , wenn nicht sogar zur eigenen Erhöhung im Sakrament der Priesterweihe ("Niemand nimmt sich selbst diese Würde, sondern wer berufen wird wie Aron", Einleitung, S.5). Wie das Böse zu bekämpfen sei, ist schlicht geschlossen: nichts scheint wichtiger als Disziplin und Gehorsam. Durchgesetzt mit den üblichen Mitteln der Abrichtung durch Bestrafung, immer verbunden mit der Drohung, Internat und Schule verlassen zu müssen: „Doch führt die leichtsinnige, freiwillige Übertretung der Regeln nach und nach zur Sünde und zur Entlassung aus dem Juvenat.“ (Einleitung, S.7). Für viele bedeutete das die entwürdigende Rückkehr ins Elternhaus als Sünder und mindestens das vorläufige Ende der weiteren Schullaufbahn auf einem Gymnasium. Wenn Internatsschüler davon berichten, wie sehr ihnen die vielen Jahre im Juvenat zugesetzt haben, wird in der Regel vergessen, wie sehr die verletzt wurden, die mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurden. Der Gründe gab es so viele:
Die Regeln reichen
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1956 wurden diese Regeln in eine Kurzform gebracht und wurden "Grundgesetz unseres Juvenates" genannt, wahrscheinlich in falscher Analogie zum Grundgesetz der jungen Bundesrepublik. Vielleicht hat man auch ganz bewusst einen Kontrapunkt setzen wollen: Wir sind anders! Wir sind besser! Wir stehen für die wahren Werte! Inhaltlich beschreibt das Grundgesetz des Juvenats das Gegenteil von dem, was das staatliche Grundgesetz anstrebt. Mit einigem Recht ließe sich behaupten: das Grundgesetz des Juvenates war grundgesetzwidrig. Hätte der Staat damals sein Wächteramt wahrgenommen, hätte eine solche Institution verboten werden müssen. Die Diskussion ("Vor dem Elternhaus, der Schule und der Kirche hat jede Demokratie aufzuhören" (Lehrer Dr. Hagen in einer Lehrerkonferenz, zit. nach Festschrift zum 125jährigen Bestehen) bei der Einführung der gesetzlich vorgeschriebenen Schülermitverwaltung am Collegium Josephinum 1968 ist ein Zeugnis dafür, wie langanhaltend diese antidemokratische Haltung von Kirche und Orden die Institutionen Internat und Schule geprägt hat, aber auch, wie wenig Internat und Schule mit der realen Welt draußen und der gesellschaftlichen Entwicklung (Studentenbewegung von 1968, Pariser Maiunruhen) verbunden waren. Die frühe Praxis der SMV 1968 versuchte formal gesetzliche Vorgaben dem äußeren Anschein zuliebe zu erfüllen, schloss jedoch ernsthafte Teilhabe grundsätzlich aus. Ministerielle Briefe an die schulische SMV zu öffnen und nicht weiter zu geben, gar stolz darauf zu sein, mit Geschick haarscharf am Gesetz vorbei zu handeln, beweist auf den ersten Blick die besondere Chuzpe des damaligen Internats- und Schulleiters Welzel, bestätigt aber auch seine Selbstherrlichkeit und die Einstellung, für eine katholische Schule gelte eigenes Recht. Erste demokratische Formen von Partizipation wurden erst mit dem Wechsel an der Internatsspitze 1969 durch Pater Cholewscynski eingeführt- 24 Jahre nach 1945.
Aus dem Grundgesetz des Juvenates:
Heiligung der Macht:
"Es ist für uns eine besondere Gnade, daß unsere Obern, Erzieher und Lehrer Priester sind. Sie sind nach unseren Eltern unsere gottgewollten Vorgesetzten, Gottes Stellvertreter, mit seiner Autorität ausgestattet, die wir widerspruchslos anerkennen."
Unerbittlichkeit des Rausschmisses oder Erziehung zur Falschheit - Angst:
"Ist einer von uns im Zweifel, ob ihn Gott zum Dienst im Ordens- und Preisterstand berufen hat, so geht er freimütig zu seinem geistlichen Berater, dem Pater Direktor oder Präfekten und offenbart sich in aller Ehrlichkeit. Als priesterliche Freunde werden sie ihm helfen zu einer klaren Entscheidung zu kommen. Soll er sein Lebensziel auf einem andern Weg erreichen, so wird er ohne Hader scheiden können, begleitet vom Segen seiner Erzieher."
Das Juvenats- Bannerlied wurde wohl Mitte der 50er Jahre gedichtet und bei allen Freizeiten (Tomburg), vor allem in den Pfingst- und Herbstferien bis 1962 gesungen. 1963 scheint es vergessen.
"Auf Brüder, und singet mit fröhlichem Klang
Und kündet mit jubelndem Wort
Die Liebe, die tief in die Seele uns drang
An diesem gesegneten Ort.
Heil, Stätte des Friedens, Heil dir, Juvenat
Du führest als leuchtender Stern
Uns schützend den steilen, beschwerlichen Pfad
Hinauf in den Tempel des Herrn.
Drum sei uns gegrüßet, wir bleiben dir treu
In Liebe und Dank. Juvenat."
Neben der täglichen hl. Messe und den zwei Messen am Sonntagmorgen (eine für die, die den Sonntag durch Fernbleiben von der Messe entheiligen) gab es zahlreiche zusätzliche Andachten, besonders im Mai zu Ehren der Maienkönigin Maria. Vor dem offiziellen Gruppenausgang am Sonntag wurde in der Kapelle gemeinsam das Tatum ergo gesungen. Manchmal auch hinterher. Die kurze, aber feierliche Andacht wurde in der Regel vom Direktor mit reichlich Weihrauch zelebriert.
Tantum ergo sacramentum
veneremur cernui,
et antiquum documentum
novo cedat ritui.
praestet fides supplementum
sensuum defectui.
Genitori genitoque
laus et jubilatio.
Salus, honor, virtus quoque
sit et benedictio!
Procedenti ab utroque
compar sit laudatio!
Amen.
Kommt und lasst uns tief verehren
ein so großes Sakrament,
dieser Bund wird ewig währen,
und der alte hat ein End.
Unser Glaube soll uns lehren,
was das Auge nicht erkennt.
Gott dem Vater und dem Sohne
sei Lob, Preis und Herrlichkeit
mit dem Geist im höchsten Throne,
eine Macht und Wesenheit!
Singt in lautem Jubeltone:
Ehre der Dreieinigkeit!
Amen.
Der 12jährige Willi wirkt zersetzend (!) auf die Gemeinschaft. Welche Sprachwahl! Sein Vater hat verstanden und den Sohn umgehend gegen seinen Widerstand von Internat und Schule abgemeldet. Die Mitschüler fanden es bedauerlich, weil sie den Spaßmacher Willi mochten und weil sie ahnten, dass jetzt einer von ihnen abbekam, was der Präfekt sonst an Willi ausgelassen hatte. Willi als Blitzableiter war nicht mehr.
Und recht hatte der Präfekt auch: Willi war "zersetzend", weil er anders als andere unabhängig war und den Vater auf seiner Seite wusste.
Gebet zum hl. Klemens (Maria Hofbauer)
Pater
Heiliger Klemens Maria, Ruhm und Säule der katholischen Kirche, du glänzende Zierde unserer Kongregation, du Liebhaber der Jugend und besonderer Beschützer des Juvenates, sieh auf uns herab, die wir vertrauensvoll zu deinen Füßen knien. Wir bewundern deine große Treue, mit der du den vielen und ausgezeichneten Gnaden entsprochen hast. Wir preisen dich besonders wegen deiner wunderbaren Glaubensstärke und deiner unerschütterlichen Standhaftigkeit, mit deren Hilfe du über all die schweren Hindernisse triumphiert hast, die sich der Erreichung deines erhabenen Berufes, der Ausbreitung der Kongregation und des erhabenen Erlösungswerkes Christi entgegenstellten.
Alle
Sende viele und tugendhafte Arbeiter in den Weinberg des heiligen Alfonsus.
Leite und beschirme sie von zarter Jugend an,
und erflehe allen, die im Juvenat sich unter deinem Schutz darauf vorbereiten, einst wahre Söhne des heiligen Alfonsus zu werden,
Anteil an deiner von lebendigem Glauben getragenen Seelenstärke und wunderbaren Willenskraft,
damit sie in all ihrem Tun und Lassen nicht von den Grundsätzen der Welt und der verderbten Natur geleitet werden,
sondern nur in den Wahrheiten des Glaubens Licht und Kraft suchen.
Pater
Hilf ihnen dir nachzufolgen in deiner wahren, tiefen Demut, in deiner Geradheit und Aufrichtigkeit, in deiner opferwilligen Liebe zu Jesus, in deinem glühenden Haß und Abscheu vor aller Sünde, in deinem Gebetsgeist und Seeleneifer, in deiner zarten Reinheit und innigen Andacht zur allerseligsten Jungfrau Maria.
Alle
Erflehe uns, o heiliger Klemens, große Hochschätzung und heilige Besorgtheit für unseren Beruf,
Liebe zum heiligen Alfons und zur Kongregation,
Liebe zur Regel
und durch dies alles die kostbare Gnade der Beharrlichkeit
damit wir uns einst auf Erden deine würdigen und
glücklichen Mitbrüder nennen können,
und in der Ewigkeit mit seligem Jubel den Glorienthron des heiligen Alfonsus umgeben dürfen.
Amen.
Papst Pius XI. spricht auf diesem Gebetzettel über die Mitarbeit der Eltern beim Priesterberuf. Der Gebetszettel wurde mit einer kleinen Widmung des Exerzitienpaters den "Priestermüttern" nach den Exerzitien überreicht. Auch für die nicht anwesenden Väter wurde gesorgt.
„Der beste und natürlichste Boden auf dem fast wie von selbst die Blumen des Heiligtums keimen und blühen müssen, ist immer die echte
und tief christliche Familie. Die Mehrzahl der heiligen Bischöfe und Priester, deren Lob die Kirche verkündet, verdanken die
Grundlage ihres Berufes und ihrer Heiligkeit dem Beispiel und den Unterweisungen eines Vaters voll Glauben und mannhafter Tugend, einer keuschen und frommen Mutter, einer Familie, in der neben
der Sittenreinheit die Liebe zu Gott und den Nächsten als Königin herrscht . . .
Glücklich jene Eltern, die eine solche Berufung als eine ganz große Ehre, als einen ganz besonderen Liebeserweis des Herrn für ihre
Familie anzusehen wissen! Sie haben vielleicht nicht um ein solches Kommen Gottes, um einen solchen göttlichen Ruf an ihre Söhne in-
brünstig gebetet, wie es häufiger als heute in Zeiten stärkeren Glaubens geschah; aber sie haben doch wenigstens keine Furcht gehabt. Leider müssen wir gestehen daß oft, nur zu oft Eltern, auch
solche, die sich rühmen, aufrichtige Christen und Katholiken zu sein, . . . sich offenbar mit der Berufung ihrer Kinder zum Priester- oder Ordensstande nicht zufrieden erklären wollen.
Ungescheut bekämpfen sie mit allen möglichen Mitteln den göttlichen Ruf, auch mit Mitteln, die nicht bloß den Beruf zum Stand einer höheren Vollkommenheit gefährden, sondern selbst das Gewissen
und das ewige Heil jener Seelen,
die ihnen doch so teuer sein müßten, . . Eine lange Erfahrung lehrt, daß ein verratener Beruf (man halte dieses Wort nicht für zu scharf) eine Quelle von Tränen nicht nur für den Sohn ist, den
Gott rief, sondern auch für die unklugen Eltern; und verhüte Gott, daß solche
Tränen zu ewigen Tränen werden."
Imprimatur 10/1960
Treveris, die 29. m. Januarii 1960
Vicarius Generalis
D. Weins
Verlag des Apostolates der Priester- und Ordensberufe
Burg Lantershofen üb. Remagen
Innenseite (Ausschnitt):
Tägliches Gebet eines Vaters für seinen Sohn während der Vorbereitung auf das Priestertum
Mein Herr und mein Gott! Wer bin ich, und was ist mein Haus, daß Du mich unter so vielen ausersehen hast, Dir und Deiner Kirche einen Priester schenken zu dürfen, daß ich Vater eines Priesters werden darf! Für diese große Gnade danke ich Dir von ganzem Herzen. Keiner nimmt sich selbst die Priesterwürde, sondern Du schenkst sie denen, die Du berufen hast. Auch der Priesterberuf meines Sohnes ist das Werk Deiner Gnade…
Richte ihn auf, wenn er verzagen will, erfülle ihn mit unerschütterlichem Gottvertrauen, wenn sein Herz erzittert bei dem Gedanken an die Aufgaben und Pflichten, die seiner später als Priester harren. Lehre Du ihn beharrlich beten, gern gehorchen; erhalte ihn rein an Leib und Seele…
Allerseligste Jungfrau Maria, Priesterkönigin! Sei Du meinem Sohne eine liebreiche Mutter. Begleite ihn mit Deinem mütterlichen Schutz auf seinem Weg zum Priestertum. O Gott, auch für mich selbst bitte ich um Deine Gnade… Gib mir die Gnade, daß ich mit den Meinen allzeit das Beispiel der Hl. Familie vor Augen habe, in der der Hohepriester herangewachsen ist, daß in unserer Familie der Geist des Glaubens, des Gebetes und des Opfers herrscht. Hilf mir, alles aus unserer Familie fern halten, was mich in Deinen Augen unwert macht, Vater eines Priesters zu werden…
Die Familie ist das erste Priesterseminar. Exerzitien 2.-5.12.1960, Herz- Jesu- Kloster Pützchen
Jährlich gab es für die Mütter der Juvenisten dreitägige Exerzitien mit einer Abschlussfeier im Juvenat, verbunden mit einem Sonderausgang mit dem Sohn. Den Müttern wurden diese Exerzitien als eigene Erhöhung zur zukünftigen Priestermutter vermittelt: schenkten sie doch der heiligen Kirche den eignen Sohn. Ihnen galt dies als besondere Gnade. Es versprach das Erbarmen Gottes beim Jüngsten Gericht. Die Mütter waren gegen alle Selbstzweifel damit tief eingebunden in den unbedingten Glauben daran, dass ihre Entscheidung, das eigene Kind weg gegeben zu haben, richtig gewesen ist. Jeder Zweifel daran, dass es dem eigenen Kind nicht gut gehen könnte, war ausgeräumt durch die zugesprochene Heiligkeit des Priestertums. Das Präfektsein war eine besonders herausgehobene Form des priesterlichen Auftrags: junge Menschen für den Dienst an der Kirche zu bilden.
Papst Pius XII drückt es in seinem Gebet um Priesterberufungen so aus:
"Lass ihre Eltern es inne werden, wie groß und unvergleichlich schön es ist, Dir die eigenen Söhne zu schenken. Gib ihnen Mut und Kraft, alle äußerenRücksichten und inneren Hemmungen, die dieser Freigabe entgegenstehen, zu überwinden. Erwecke in hochherzigen Seelen die innere Bereitschaft,mit wohltätiger Hand Deinen Auserwählten zu helfen, wenn Armut sie hindert, Deinem Rufe zu folgen. Verleihe ihren Lehrern und Erziehern Licht und Kraft, in ihren jungen Herzen die zarte Pflanze Deiner Berufung sorgsam zu pflegen, bis der Tag anbricht an dem sie mit glühendem und reinem Herzen zu Deinem Altar emporsteigen."
Wir haben nur wenige Fotos aus dem Internatsleben behalten. Unten sieht man in die Aula, daneben einen Sonntagsausflug auf einen Spielplatz in der Nähe, die Betten im gr0ßen Schlafsaal, die Juvenisten beim Spielen, die Internatskapelle, eine von den Präfekten organisierte Kirmes mit Sackhüpfen, den trostlosen Schulhof, die Lieblingsecke aller Schüler, den Studiensaal mit Klapppulten, Juvenisten in entsprechender Sonntagskleidung, die erste weibliche Präfektin für die Kleinen und eine Gruppe, die einen gar nicht so lustigen Nikolausabend gestaltet.
Die Missbrauchsopfer von Glanerbrück sprechen übereinstimmend von einer Art Geheimdienst mit Zuträgeraufgaben an den Präfekten P. Willibald D., dem sog. "HM" oder "Hilf mit" Sie beschreiben wie skrupellos dieser von Pater D. zur inneren Zurichtung der Juvenisten und zum Ausbau der eigenen Mächtigkeit genutzt wurde. Skrupellos ist nicht nur die Methode, ohne jeden Skrupel war der besagte Präfekt auch bei der naiven, mindestens aber unbedachten Namensübernahme aus der nationalsozialistischen Schülerindoktrination : Die „Hilf mit“ war als millionenfach (Auflage 5 Millionen Exemplare) verteilte Monatszeitschrift von 1933-1944 ein Kernstück der nationalsozialistischen Beeinflussung von Schülern. Sie war die größte Jugendzeitschrift bzw. Schülerzeitung im Dritten Reich und nach Meinung der Forschung (Benjamin Ortmeyer: Indoktrination. Rassismus und Antisemitismus in der Nazi- Schülerzeitschrift "Hilf mit!") höchst professionell gemacht. Sie wurde herausgegeben vom nationalsozialitischen Lehrerbund, dem 97% aller Lehrer angehörten. Sie zeichnete sich im Gegensatz zum plumpen Organ „HJ“ der Hitlerjugend dadurch aus, dass sie die Schüler in Alltagsgeschichten einband und Nazipropaganda „subtil eingestreut und didaktisch gut verpackt hat“ (Ortmeyer). Zum Beispiel, wenn ein Junge seinem Papa erklärt, warum er jetzt die Bücher seines Vaters zum Altpapier bringt: „Das sind Judenbücher, Vater. Weißt du, so was gehört nicht in unseren Bücherschrank.- Ach so, sagt der Vater, ein wenig erstaunt.“
Unbedacht mag die Namensübernahme sein, aber ohne Ziel und Sinn war sie nicht, ging es doch ganz offensichtlich um die innere Identifikation der Jungen mit dem, was der Präfekt und die Institution wollten, darum die Jungen gefügig zu machen und zu halten und sie die Hergabe ihrer Integrität nicht merken zu lassen. Wahrlich gekonnt abgekupfert bei denen, die von "Menschenführung" nun wirklich etwas zu verstehen schienen. Die Namensgleichheit verrät auf fatale Weise, wie sehr sich Systeme mit einem Heilsversprechen - bei gegebenem inhaltlichem Dissens, wer denn die Macht haben darf- ähneln, weil ihr Anspruch totalitär ist. Ist der Anspruch erst einmal „geheiligt“, ist jedes Mittel recht zur Durchsetzung. Die Geschichte der Kirche, des Nationalsozialismus, des Sozialismus zeigen dabei auf erschreckende Weise, wie die Totalität einer Idee nicht nur die Türen öffnet zu systematischer struktureller Gewalt sondern auch zu persönlicher Willkür. Sexuelle Gewalt erscheint darin immer als eine spezielle Form der Ermächtigung.
Der Verdacht, dass die Internate totale wenn nicht totalitäre Instituionen waren, der hier durch die Namenswahl „Hilf mit“ ausgelöst wurde, ließe sich ideologiekritisch durch weitere Analyse der Wörter und Sätze gewiss sowohl im "Grundgesetz des Juvenats" als auch besonders in mancher Wortwahl des schlichten Internatsalltags bestätigen, so zum Beispiel, wenn vom Kapo gesprochen wird oder wenn im „Führungszeugnis“ dem 12jährigen Willi „Zersetzung der Gemeinschaft“ vorgeworfen wird oder wenn einem Kind, das das Internat verlassen muss, vom Präfekten nachgesagt wird, es sei "ein fauler Apfel" gewesen.
Wenn wir als Betroffene von systematischem Missbrauch sprechen oder davon, dass der Missbrauch in den Internaten System hatte, dann sprechen wir damit genau diesen oben angedeuteten allumfassenden totalitären Charakter der Zurichtung und das damit verbundene unerlässliche Gebot des "Du sollst nicht merken" (Alice Miller) an.
Filmsonntag und kulturelle Einbindung des Juvenisten
Jeden dritten Sonntag war im Internat sog. Filmsonntag. Die meisten Filme sind längst vergessen. Ein Film scheint aber vielen im Gedächtnis haften geblieben zu sein: "Der Abtrünnige" und beschäftigt Einzelne wohl immer noch.
Tatsächlich geht es im Film inhaltlich um die wenig spannende Frage, ob die liturgischen Rituale der Eucharistie, der Priesterordination und der Beichte in einem Kriegsgefangenenlager der Deutschen bzw. den Nachriegswirren 1945 den damals gültigen liturgischen Vorgaben entsprechen. Die Konsekrationsworte im Film entsprechen denen aus dem sog. Canon Missae innerhalb einer Eucharistiefeier. Ihr Gebrauch entspricht dem Missale Romanum (1930). Auch die Priesterweihe im Film ist bis auf kleine Abweichungen einer realen Ordination nachgebildet. Auch der Ritus der Exkommunikation und Rekonziliation der kanonischen Bußform entspricht dem Pontificale Romanum. Die gezeigten Beichtszenen und die Szene der letzten Ölung entsprechen penibel dem damals gültigen Rituale Romanum (1913).
Dieses Werk von der Abirrung eines Geistlichen, der in den Schoß der Kirche zurückgeführt wird, und in dem doch auch Blasphemisches und ein massives Gewaltverbrechen geschieht, wurde innerhalb der kath. Filmkritik als qeeignet betrachtet, vor allem Jugendlichen als Vorbild gezeigt zu werden. War man sonst dem Kriminalfilm gegenüber extrem ablehnend eingestellt, hier heiligte der Zweck die Mittel:
Ein abtrünniger Priester, der an einem Buch mit dem Titel arbeitet „30 Jahre Christus - 2000 Jahre Verrat", trifft auf einen jungen Menschen, der sich durch das Beispiel des Abtrünnigen seinerseits zum Priester aufgerufen fühlt. Man erprobt ihn auf seine Eignung und diese Prüfung (Entsagung seiner Geliebten, die ihn zu Sex und Ehe verführen will) wird identisch mit der Rückgewinnung des abtrünnigen Priesters für die Kirche. Der junge Priester treibt durch seine eigenen Irrungen den „Abtrünnigen“ in eine Sackgasse, aus der dieser sich nur befreien kann, indem er seinen Freund totschlägt. Mit dieser unwiderruflichen Todsünde erst wird er wieder frei, um selbst zu beichten und Gott zu finden. Er trägt sein Opfer, den toten jungen Amtsbruder schließlich mit den (vom Zuschauer regelrecht herbeigesehnten) Worten: „Ich bin ein Priester der Kirche" zur Polizeistation und steht so endlich wieder zu seiner wahren Berufung als Priester.
Ein Kulminationspunkt des Films ist die Zelebration einer Teufelsmesse in einem Nachtlokal. Der Abtrünnige gießt eine Flasche Wein in einen Sektkübel und vollzieht mit den nötigen rituellen Handlungen die Wandlung, worauf der junge Priester den Kübel an den Mund setzt und ihn leertrinkt, um der Schändung tapfer Einhalt zu bieten. Der Regisseur schickt diabolisch noch eine Barschöne, die ihren Sektquirl in die „geweihte“ Flüssigkeit stecken möchte, doch reißt der junge Priester sie im letzten Moment zurück.
Der Film lebt von einen ungewöhnlichen Darsteller, Pierre Fresnay, der den Abtrünnigen spielt. Seine Leistung ist tatsächlich faszinierend. Es gelingt ihm trotz des unfassbar gekünstelt und abstrakt erscheinenden Plots, dass die Zuschauer sich mit der Gestalt des Abtrünnigen und den Problemen der ordnungsgemäßen klerikalen Handlungen identifizieren. Auch der junge Pierre Trabaud ist hinreißend in seiner Gestaltung eines fast noch knabenhaften GIaubensfanatikers. Leo Joannon, der das Buch schrieb und Regie führte, gelang ein religiöser Thriller, der in den 50ern und 60er Jahren viele Menschen, auch uns Internatszöglinge, fesselte. Der Film war einer der ersten gesendeten Spielfilme im neu gegründeten und katholisch dominierten ZDF Anfang der 60er Jahre.
Heute würde man den Film eher einem Genre zuordnen, in dem es darum geht, Fanatiker für irgendeinen Kampf um den wahren Glauben bzw. den Terrorismus anzuwerben. Katholische Kritik damals feierte den Film wie kaum einen zweiten wegen seiner „reinigenden und erhebenden“ Wirkung: die Rückkehr des verlorenen Sohnes (nach Exkommunikation, Blasphemie und Totschlag) in den Schoß der Kirche und ins Priestertum als einem quasi unauslöschlichen Merkmal. Die sonst übliche Kritik daran, dass Jugendlichen in weltlich orientierten Filmen Gewaltszenen gezeigt werden, hier verstummt sie wegen der "Bekehrung" des Protagonisten. Heute würde man sagen: mehr Zynismus geht gar nicht.
Der Film entwickelt durch Regie und Darsteller (selbst die Mutter des Abtrünnigen in einer Nebenrolle fasziniert) in der Tat die Spannungsqualität eines erstklassigen Kriminalfilms, auch wenn er inhaltlich eher einer katholisch- intellektuell geprägten Diskussionsrunde über die Gültigkeit von Sakramenten entsprungen zu sein scheint. Unser Versuch, das Buch (der Film selbst ist nicht mehr leicht zugänglich) mit einer gewissen Spannung verbunden zu lesen, scheiterte notwendigerweise, weil solche und dazu noch langatmig geführten Diskussionen heute schlicht ermüdend wirken und uns nur noch befremden. Der bemühte Sprachstil (Übersetzung) tut sein Übriges. Was der Film (und das Buch) aber faszinierend zeigt, ist die damals vorherrschende Überzeugung einer einzigartigen Erhöhung des Menschen durch die Priesterweihe, einer Erhöhung, der letztlich auch ein Totschlag (und ein Missbrauch?) nichts anhaben kann.
Einmal im Monat, wenn wir das richtig erinnern, war am dritten Sonntag Filmnachmittag. Die Filme unterlagen einer speziellen Auswahl. Nicht zufällig war es der berüchtigte Täter Pater Willibald S., der sich für lange Zeit das Recht auf die Auswahl der Filme gesichert hatte (jedenfalls für die Altersgruppe bis 16) und dieses sehr pointiert (kein Schund, ausnahmslos religiös erziehend!) wahrnahm.
Hier Originalbilder aus dem Film: